Olsons Theorie über das kollektive Handeln in Gruppen. Teil 1: Trittbrettfahren ist bei der Beschaffung von Kollektivgütern rational, gefährdet aber die Möglichkeit der Beschaffung

Problematisch wird die Beschaffung eines Kollektivguts, wenn sie Kooperation voraussetzt, die jedoch durch dominantes individualistisches Verhalten Einzelner nicht zustande kommt. Das Problem dieser Situation ist Koordinationsineffizienz. Ihre Lösung besteht darin, sich einvernehmlich zur Kooperation zu entschließen und nicht-kooperatives Verhalten zu sanktionieren.1 Dieses Problem sowie Möglichkeiten seiner Lösung werden von Mancur Olson2 beschrieben.

Olson widerspricht mit seiner Theorie von der Logik kollektiven Handelns der Ansicht, „dass Gruppen in ihrem eigenen Interesse handeln“, weil „die einzelnen Mitglieder der Gruppe“ in ihrem „Selbstinteresse“ handelten.3 Denn dies könne nicht mit der Annahme eines rationalen Verhaltens der einzelnen Individuen begründet werden.

Olson zufolge schließt die egoistische Nutzenmaximierung als rationales Verhalten eines Individuums die Erreichung gemeinsamer Ziele nur dann ein, wenn besondere Anreize geboten werden – selbst bei völliger Übereinstimmung in den Zielen.4 Zudem würde es wegen dem rational nutzenmaximierenden Verhalten des einzelnen Gruppenmitglieds ohne weitere Anreize auch zu keiner optimalen Versorgung mit kollektiven Gütern kommen, selbst wenn kollektives Handeln verwirklicht wird. Relevant ist deshalb ist der Einfluss der Gruppe auf das Gruppenmitglied. Sie ist es, die entsprechende Anreize für das einzelne Gruppenmitglied setzt. Allerdings variieren Möglichkeit und Intensität dieser Anreize mit der Gruppengröße, sodass die Gruppengröße sowohl für das kollektive Handeln an sich als auch für dessen Effizienz von entscheidender Bedeutung ist.

Olson fasst eine Gruppe prinzipiell als Organisation auf, deren Zweck zumeist die Förderung der Interessen der Mitglieder ist.5 So bestehe „der Reiz der Mitgliedschaft nicht so sehr im bloßen Dazugehören […], sondern vielmehr darin, dass man mit Hilfe dieser Mitgliedschaft etwas erreichen kann.“6 Wenn es also gemeinsame Ziele gibt, die über die bloße Geselligkeit hinaus gehen, dann können Organisationen die Funktion erfüllen, mittels organisiertem Handeln gemeinsame Ziele zu fördern.7 Auch wenn eine Gruppe über die Gemeinsamkeit der Interessen ihrer Mitglieder definiert ist, gibt Olson zu bedenken, dass doch jedes Individuum „auch seine eigenen Interessen“8 verfolgt.

Am Beispiel einer politischen Lobby, die das gemeinsame Interesse einer politischen Gruppe verfolgt, zeigt Olson die Schwierigkeit der Gegenläufigkeit kollektiver und individueller Interessen. So bestehe zwar ein gemeinsames Interesse an den Erfolgen der eigenen politischen Lobby, doch wäre es für den Einzelnen nicht rational, Zeit und Geld zu opfern, damit seine Lobby eine für alle Gruppenmitglieder positive Regelung durchsetzt. Vielmehr hofft der Einzelne auf die potentielle Möglichkeit, dass das gemeinsame politische Interesse auch ohne sein Zutun erreicht wird und also darauf selbst die Kosten zu sparen, die zur Verwirklichung des gemeinsamen Interesse notwendig anfallen.

Der Grund für die Möglichkeit einer solchen Strategie ist die Intransparenz des Geschehens aus der Perspektive der übrigen Gruppenmitglieder, kombiniert mit der Unmöglichkeit, jemanden von der Nutzung des einmal beschafften Gutes ausschließen zu können „Durch „den Verlust eines Beitragszahlers wird die Belastung für irgendeinen anderen Beitragszahler nicht merklich steigen, und deshalb würde ein rational handelnder Mensch nicht glauben, dass sein Austritt aus einer Organisation andere veranlassen würde, ebenso zu handeln“.9Können Gruppenmitglieder dann auch nicht zuverlässig von der Nutzung eines gemeinsam beschafften Gutes ausgeschlossen werden, sind die Transaktionskosten der gegenseitigen Kontrolle abhängig von der Gruppengröße zu hoch, als dass ein effektiver Anreiz gesetzt werden könnte, zuverlässig alle zu beteiligen. Olson zeigt dies am Beispiel einer von einer Gruppe erreichten politischen Regelung, die auch solchen Individuen zugute kommt, die sich an ihrer Beschaffung beteiligt haben.

Solch ein Gut definiert Olson als ein Kollektivgut.

„Ein Gemein-, Kollektiv- oder öffentliches Gut wird […] als jedes Gut definiert, das den anderen Personen in einer Gruppe praktisch nicht vorenthalten werden kann, wenn irgendeine Person […] in einer Gruppe […] es konsumiert.“10 Jede Organisation, die im Zuge ihrer Organisationstätigkeit Kollektivgüter bereitstellt, steht vor dem Problem, dass sich ihre Mitglieder potentiell nicht an den Beschaffungskosten der von ihrer Organisation beschafften Kollektivgüter beteiligen werden, weil sie wissen, dass sie jederzeit von den beschafften Kollektivgütern profitieren können, wenn diese erstmal beschafft sind, gleichgültig, ob sie sich beteiligt haben oder nicht.

Daraus entsteht ein Folgeproblem: Da die Aussicht auf das Kollektivgut aufgrund einer abwartenden und spekulierenden Haltung sich rational verhaltender Akteure die Chance des Gelingens der Beschaffung des Kollektivguts schwächt, müssen Sanktionen oder Anreize geboten werden, um trotz des rationalen Verhaltens der Mitglieder die Organisation zu erhalten und das Gut überhaupt beschaffen zu können.

weiter mit Teil 2: Das Gelingen der Beschaffung von Kollektivgütern abhängig vom individuellen Kostenanteil


1 Schmidt-Trenz 1996, S.51

2 Olson 1992

3 Olson 1992, S.1

4 Olson 1992, S.2

5 Olson 1992, S.4

6 Olson 1992, S.5

7 Olson 1992, S.6

8 Olson 1992, S.7

9 Olson 1992, S.11

10 Olson 1992, S.13


Olson, Mancur (1992): Die Logik kollektiven Handelns: Kollektivgüter und die Theorie der Gruppen. 3. durchges. Aufl. Tübingen.

Schmidt-Trenz, Jörg (1996): Die Logik kollektiven Handelns bei Delegation. Das Organisationsdilemma der Verbände am Beispiel des Beitragszwangs bei den Industrie- und Handelskammern. Tübingen.