Wann immer die Beschaffung eines Kollektivguts Kooperation von Akteuren voraussetzt, ist das Zustandekommen seiner Beschaffung alles andere als sicher, weil jedes Mitglied innerhalb der Gruppe der Beschaffenden die Möglichkeit der Beschaffung durch seines individuell rationales Interesse unterläuft, weil es sich selbst nach Möglichkeit nicht an den Beschaffungskosten beteiligen möchte.
Die Beschaffung des Kollektivguts glückt deshalb Mancur Olson zufolge nur abhängig davon, ob die Gruppe zu Anreizen und Sanktionen in der Lage ist, die für die Beschaffung notwendige Kontributionsleistung jedes einzelnen Mitglieds sicherzustellen. Dies gelingt laut Olson abhängig von der Größe der Gruppe. Denn die Größe der Gruppe ist ausschlaggebend für ihren Zusammenhalt, ihre Wirksamkeit, ihre Anziehungskraft und für den Anreiz des Individuums, etwas zur Gruppe beizutragen.1 Er entwickelt seine Überlegung deshalb ausgehend vom Einzelnen und steigert sich mit der Größe der Gruppe, wobei er den Vorteil kleiner Gruppen herausarbeitet.
Olson ist bewußt, dass seine Theorie ein idealtypisches Modell beschreibt. Seiner Theorieentwicklung schickt er deshalb voraus, dass Individuen ein von der Gruppe angestrebtes Kollektivgut unter Umständen unterschiedlich wertschätzen. In Gruppen kann insofern nicht grundsätzlich von einer Homogenität der Interessen ausgegangen werden. Auch gibt Olson zu bedenken, dass die Kosten eines Gutes eine Funktion seiner Menge sind. Das gilt auch für Kollektivgüter.
Wenn sich ein einzelner die Beschaffung eines Gutes leisten kann, wird dieses Gut mit Wahrscheinlichkeit beschafft. Handelt es sich bei diesem Gut um ein Kollektivgut, weil andere von dessen Mitnutzung nicht ausgeschlossen werden können, wird dieses Kollektivgut von einem Einzelnen nur dann beschafft, wenn er seine Kosten decken kann, und zwar aus dem auf ihn entfallenden Anteil am Nutzen beziehungsweise aus der auf ihn entfallenden Menge des beschafften Gutes. Dies wiederum hängt davon ab, wie hoch sein individueller Nutzen am beschafften Gut ist und wie groß die Anzahl derer ist, mit denen er sich das Gut teilen muss.2
Olson abstrahiert diesen Befund, indem er annimmt, dass das Individuum (i) ein Kollektivgut beschaffen will, wenn es von diesem Gut profitiert. Angesichts der Kostenfunktion eines Gutes kann dabei festgestellt werden, dass das Kollektivgut nur solange beschafft werden wird, solange ein Individuum – auch wenn es das Kollektivgut alleine herstellt – noch Gewinn (G) erwirtschaftet. Damit ist auch die Menge (M) des beschafften Gutes an die Kosten-Nutzen-Relation des einzelnen Individuums gekoppelt. Inwiefern das Individuum bei der Kollektivgutbeschaffung Gewinn (Wi) erwirtschaftet hängt davon ab, wie der Gewinn verteilt wird. Entspricht der Gesamtgewinn der Gruppe (Wg) der Menge des erwirtschafteten Kollektivgut, so gilt: Wg = G M. Der Gesamtgewinn (Wg) der Gruppe hängt dann von der verfügbaren Menge des erwirtschafteten Kollektivguts ab, wobei noch die Frage zu stellen ist, auf wie viele Gruppenmitglieder (g) aufgeteilt werden muss. Der Gewinn eines einzelnen Individuum (Wi) hängt nun von dem Bruchteil (Bi) des Gruppengewinns (Wg = G M) ab, den es erhält. Der Bruchteil (Bi) ist gewissermaßen ein Faktor des Gruppengewinns: Wi = Bi * Wg oder Wi = Bi * (G M), wobei der Bruchteil (Bi) dann (Wi/Wg) entspricht. Der Gewinn des einzelnen Individuum (Wi) wird jedoch noch geschmälert durch die Kosten, die dem einzelnen Individuum entstehen. Der Reingewinn des Individuums (Vi) entspricht dem Gewinn des Individuums (Wi) minus den Kosten, die der Einzelne tragen muss (Ki). Es gilt also Vi = Wi-Ki.
Im Extremfall trägt ein einzelnes Individuum die Gesamtkosten der Beschaffung des Kollektivgutes (Kg), während zugleich andere vom Kollektivgut profitieren, ohne sich zu beteiligen, sie also keinen Beitrag leisten. In diesem Fall wird die Relevanz der Frage offensichtlich, welche Menge des Kollektivguts vom kostentragenden Individuum jeweils ‚gekauft’ wird. Diese Menge wird zwischen der Überwindung des indifferenten Punktes Vi>0 und der Menge liegen, ab der dem Individuum durch ein mehr an Gütern kein zusätzlicher Nutzen mehr entsteht und der individuelle Grenznutzen abnimmt. So wird das Individuum am indifferenten Punkt Vi=0 noch nicht motiviert sein und so ist Wi>Kg die Bedingung für die Beschaffung eines Kollektivgutes durch ein einzelnes Individuum.3
Ausgehend von der Betrachtung der individuellen Kosten-Nutzen-Relation im Extremfall, dass nur ein einzelner die gesamten Kosten für die Beschaffung des Kollektivgutes trägt, vermutet Olson nun, dass das Kollektivgut nur dann sicher bereitgestellt wird, wenn in der Gruppe die Kosten des Kollektivgutes (Kg) im Verhältnis zum Gesamtgewinn (Wg) so klein sind, dass der Gesamtgewinn die Gesamtkosten übersteigt und der Gewinn der Gruppe den Gewinnbruchteil des Einzelnen übersteigt (Wg>Wi), aus dem der Einzelne seinen Kostenanteil für das Kollektivgut bestreitet und aus dessen verbliebenen Überschuß Vi er seinen Vorteil ziehen kann.
Erschwerend kommt hinzu, dass, „wenn eine Gruppe ein gewöhnliches Kollektivgut zu erwerben sucht, […] sie […] feststellen [muss], dass die erste erworbene Einheit des Kollektivgutes viel teurer ist als die folgenden Einheiten des Gutes.“4 Deshalb muss der Einzelne berücksichtigen, inwiefern „sein Gesamtnutzen […] größer ist als die Gesamtkosten dieser [auf ihn entfallenden] Menge des Gutes“ und „wie viel er vom Kollektivgut allenfalls beschaffen sollte“, wobei die Antwort hierauf von seinem persönlichen Kosten-Nutzen-Verhältnis abhängt.5 Im Gegenzug müssen die übrigen Individuen der Gruppe beurteilen, inwiefern der Gruppennutzen optimiert wird; also die Kosten-Nutzen-Verteilung pareto-optimal gleich verteilt ist. Aus dieser Kosten-Nutzen-Beurteilung entspringt dann Olson zufolge das Problem der suboptimalen Versorgung mit kollektiven Gütern innerhalb von Gruppen. Denn die übrigen Mitglieder einer Gruppe werden Olson zufolge zu dem Schluß kommen, „dass niemand in der Gruppe einen Anreiz hat, unabhängig irgendeine Menge des Kollektivgutes zu beschaffen, wenn die Menge, die derjenige mit dem größten Bi [Anteil am Kollektivgut] besorgen würde, einmal verfügbar ist. […] Das legt die Vermutung nahe, dass […] in großen Gruppen die Tendenz besteht, sich überhaupt nicht mit Kollektivgütern zu versorgen [und] in kleinen Gruppen eine Tendenz zur sub-optimalen Versorgung mit Kollektivgütern besteht. Diese Suboptimalität wird um so beträchtlicher sein, je kleiner der Bi des ‚größten’ Individuums in der Gruppe ist.“6 Je mehr Mitglieder eine Gruppe hat, desto kleiner fallen unter Umständen die Anteile aus und um so problematischer ist die optimale Versorgung.7 Daraus lässt sich schließen, dass eine Gruppe mit vielen Mitgliedern unter Umständen entsprechend weniger handlungsfähig ist, als eine kleine Gruppe mit Mitgliedern, die durch einen vergleichsweise großen Anteil ausreichende Anreize zur Beschaffung ausreichend großer Kollektivgutmengen haben. „Da niemand einen Anreiz hat, mehr von dem Kollektivgut zu beschaffen, wenn das Mitglied mit dem größten Bi die Menge, die es haben will, erlangt hat, gilt auch, dass in einer kleinen Gruppe die Aufteilung der Kosten des Erwerbs des Kollektivgutes nicht proportional zum Nutzen erfolgt, den das Kollektivgut stiftet. Das Mitglied mit dem größten Bi wird einen überproportionalen Teil der Lasten tragen.“8
Olson vermutet deshalb eine „systematische Tendenz zur ‚Ausbeutung’ der Großen durch die Kleinen“, wobei er jedoch betont, dass der Begriff der Ausbeutung dabei jedoch nicht moralisch zu verstehen ist.9
Ist eine optimale Versorgung ausdrücklich erwünscht, so müssen Kosten und Nutzen optimal verteilt sein. Denn „in jeder Gruppe mit freiwilliger Mitgliedschaft werden ein oder mehrere Mitglieder, deren anteilige Grenzkosten ihren Anteil am zusätzlichen Nutzen übersteigen, aufhören, zur Verbesserung der Versorgung mit dem Kollektivgut beizutragen, bevor noch das Gruppenoptimum erreicht ist.“10 Voraussetzung ist jedoch, dass überhaupt ein Kollektivgut beschafft wird. Dies hängt davon ab, wie viel von dem Gut beschafft werden muss, damit der indifferente Punkt Vi=0 überwunden wird.
Auf der Basis seiner Theorie vertritt Olson nun die These, dass sich kleine Gruppen ohne weitere Anreize mit kollektiven Gütern versorgen können. „Das kommt daher, dass in einigen kleinen Gruppen jedes Mitglied oder wenigstens eines von ihnen feststellen wird, dass sein persönlicher Gewinn aus dem Kollektivgut die Gesamtkosten der Bereitstellung einer gewissen Menge dieses Kollektivgutes übersteigt.“11 Begünstigend wirkt die Ungleichheit der Mitglieder der Gruppe, „denn je größer das Interesse irgendeines einzelnen Mitglieds am Kollektivgut, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Mitglied einen so bedeutenden Anteil am Gesamtvorteil, den das Kollektivgut stiftet, erhalten wird, dass es für es vorteilhaft ist, für die Bereitstellung des Gutes zu sorgen, sogar dann, wenn es die gesamten Kosten selbst tragen muss.“12
Problematisch ist jedoch, dass die Beschaffung suboptimal ausfallen wird, da das Interesse an der Beschaffung geringer wird, je eher die Kosten und das Nutzenbedürfnis der am stärksten engagierten Mitglieder gedeckt ist. Denn kostenlos von anderen erhaltene Güter mindern weiter die Anreize, selbst mehr von dem Gut beschaffen zu wollen.
Olson schließt deshalb seine theoretische Überlegung mit der These, dass es institutioneller Vorkehrungen bedarf, um eine optimale Versorgung mit einem Kollektivgut mittels einer Organisation herbeizuführen. Dies gilt um so mehr, je größer die fragliche Gruppe ist.13 „Je größer eine Gruppe ist, um so weniger wird ihr eine optimale Versorgung mit irgendeinem Kollektivgut gelingen, und um so unwahrscheinlicher ist es, dass sie so handelt, dass sie auch nur die kleinste Menge eines solchen Gutes erlangt.“14
1 siehe Olson 1992, S.19f
2 siehe Olson 1992, S.21
3 vgl. Olson 1992, S.21ff
4 Olson 1992, S.25
5 vgl. Olson 1992, S.26
6 Olson 1992, S.26
7 vgl. hier den von Schmidt-Trenz thematisierten organisatorischen Dilettantismus, Schmidt-Trenz 1996, S.22
8 Olson 1992, S.27
9 siehe Olson 1992, S.27, Fussnote 47
10 Olson 1992, S.30
11 Olson 1992, S.32
12 Olson 1992, S.33
13 siehe Olson 1992, S.33ff
14 Olson 1992, S.34f
Olson, Mancur (1992): Die Logik kollektiven Handelns: Kollektivgüter und die Theorie der Gruppen. 3. durchges. Aufl. Tübingen.
Schmidt-Trenz, Jörg (1996): Die Logik kollektiven Handelns bei Delegation. Das Organisationsdilemma der Verbände am Beispiel des Beitragszwangs bei den Industrie- und Handelskammern. Tübingen.