Politik als Arbeitsprozess. Teil 1: Mein Platz in der Wertkette

Ich überlege mir seit geraumer Zeit, wie es gelingen kann, eine im Prinzip beliebig große Anzahl von Personen in einen für alle dauerhaft produktiven und interessanten Prozess politischer Arbeit zu bringen. Drei Modelle bieten dabei meines Erachtens Orientierung, Politik als Arbeitsprozess zu verstehen, darin eigene Rollen und Aufgaben zu erkennen und eine mögliche Arbeitsweise zu beschreiben. Erstens lohnt es sich, nach der Wertkette der politischen Arbeit Ausschau zu halten, um die Arbeitsweise der handelnden oder betroffenen Akteure zu analysieren. Mit der Frage nach der Wertkette wird sehr gut verständlich, was in einer Partei, in einem Verband, einem Medienunternehmen, in einer Redaktion oder auch in einer Lobbyagentur geschieht (oder, interessant für disruptiv interessierten „politischen Unternehmer“, unterbleibt). Diese Betrachtungsweise hilft zu verstehen, einen Ansatz für die eigene Arbeit und den Wert dieser Arbeit zu erkennen. Auch ist das entscheidend, um das Bedürfnis nach einem organisatorischen Rahmen der eigenen politischen Arbeit zu verstehen und sich einen solchen Rahmen entsprechend zu suchen oder zu schaffen. Zweitens hilft die Kenntnis des Konzepts der Politikfeldanalyse und des von ihr vorgeschlagenen Politikzyklus-Modells, Politik als eine sinnvoll und geordnet in Arenen ablaufende, themenbezogene Sache zu verstehen. Politikfeldanalyse macht politische Arbeit als Informationsbeschaffungs- und -verarbeitungsprozess überhaupt erst strukturierbar. Aufbauend auf dem Konzept der Politikfeldanalyse bieten drittens die Methoden und Techniken politischer Arbeit des Public Affairs Ansatzes konkrete Anleitung für politische Arbeit. Der nachfolgende Text erörtert die Idee, Politik als informationswirtschaftliche Wertschöpfungskette zu betrachten und die Wertketten im Sinne Michael E. Porters zu untersuchen.

1. Was gibt es zu tun?

Das landläufige Verständnis „politischer Arbeit“ beschränkt sich meist sehr stark auf das Ringen um Einflußnahme, auf „politische Aktionen“, die oftmals werblichen Charakter haben, auf Demonstrationen, Petitionen, Wahlkampf usw. Das ist aber nur ein sehr kleiner Ausschnitt dessen, was politische Arbeit beinhaltet.

Politische Arbeit umfasst alle Tätigkeiten, die darauf abzielen, eine politische Umwelt zu beobachten, in ihr handelnde Akteure zu kennen, in ihr ablaufende politische Prozesse zu verfolgen, die Entwicklung zu analysieren, den Einfluss des Geschehens auf eigene Interessen und Zielvorstellungen zu prognostizieren und wenn notwendig und möglich Einfluss auf einen solchen politischen Prozess zu nehmen, um eigene Interessen oder Zielvorstellungen zu wahren, durchzusetzen oder insgesamt gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen.

Diese sehr kompakte Definition gilt für alle Formen politischen Arbeitens, sei es

  • zivilgesellschaftliches Engagement (Entwicklung gesellschaftlicher Anliegen)
  • politische Bildung (Vermittlung politischen Wissens bspw. über Arenen, Akteure, Prozesslogiken, Sachanalysen, Handlungsoptionen)
  • parteipolitische Arbeit (Entwicklung politischer Programme, politische Werbung)
  • Öffentlichkeitsarbeit und Lobbyismus (Beeinflussung politischer Entscheidungsprozesse durch Medienarbeit, Kampagnen oder direkte Gespräche mit Entscheidungsträgern)
  • parlamentarische Arbeit (Erarbeitung von Beschlussvorlagen, Aushandlung von Mehrheiten)

2. Wie mache ich da mit?

Auf der Suche nach einer eigenen aktiven Rolle in der politischen Arbeitswelt – gleichgültig, ob man nur für sich privat, ehrenamtlich oder hauptamtlich in ihr tätig ist – ist es nützlich, sich zwei Dinge vor Augen zu führen: Erstens besitzt heute wirklich jede und jeder mindestens ein digitales Endgerät, mit dem sich Informationen beschaffen und verarbeiten lassen, und sei es nur das Smartphone. Zweitens ist jede politische Arbeit im Kern Informationsbeschaffung und Informationsverarbeitung. Einfach gesagt haben haben wir heute alle die Voraussetzung zur Teilhabe an politischer Arbeit in der Hosentasche.

Die Schwierigkeit besteht darin zu erkennen, wie ich mit meinem Gerät tatsächlich sinnvolle politische Arbeit leisten kann. Idealerweise und noch dazu kollaborativ im Verbund mit Anderen. Wie wir alle tagein, tagaus erleben, ist mit der Verfügbarkeit des Gerätes und mit der Verfügbarkeit bspw. der „sozialen Medien“ überhaupt noch nicht die Frage nach dem Produktionsprozess politischer Arbeit beantwortet, an dem wir sinnvoll und produktiv mit dem Gerät teilnehmen könnten.

Im Gegenteil steht der Verdacht im Raum, dass die Technik womöglich am Ende mehr Schaden anrichtet, als Nutzen stiftet, sofern sie zur Folge hat, lediglich der Verbreitung von Desinformation und der Überformung des Denkens durch massenhafte Manipulation Vorschub zu leisten und das zwischenmenschliche Gespräch am Ende nur vergiftet zurück zu lassen.

Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass wir zwar die Technologie zur politischen Arbeit alle in der Hostentasche mit uns herum tragen, dass aber die „Werkbänke“, unsere „Arbeitsteilung“ und die „Arbeitsprozesse“ unserer kollaborativen politischen Arbeit in etwa dem kulturellen Entwicklungsstand von Fellbekleidung und Holzknüppeln entspricht. Ich gestatte mir, die Sache nach Möglichkeit mal von Anfang an zu durchdenken.

3. Politik als Arbeitsprozess

Wie eingangs aufgezählt, sehe ich drei relevante Ansätze, um sich hinsichtlich des Arbeitsprozesses, an dem ich teilnehmen möchte und teilnehmen kann, zu orientieren:

Erstens die Frage nach Wertschöpfungsketten und Wertkettenmodellen. Nach der Wertkette der politischer Arbeit Ausschau zu halten lohnt sich, um die Arbeitsweise, Wechselwirkungen und Unterschiede der Durchsetzungsfähigkeit der handelnden oder betroffenen Akteure zu analysieren. Dieser Ansatz ist meines Erachtens auch sehr gut anschlussfähig an die wirtschaftsgeschichtliche Erörterung des Strukturwandels der Öffentlichkeit von Jürgen Habermas, die meines Erachtens eine Fortsetzung verdiente. Das wäre auch eine heilsame Korrektur für die meines Erachtens etwas zu moralisch geführte Diskussion des Journalismus oder der Presse als „vierter Gewalt“.

Zweitens hilft die Kenntnis des Konzepts der Politikfeldanalyse und des von ihr vorgeschlagenen Politikzyklus-Modells, Politik als eine sinnvoll und geordnet in Arenen ablaufende, themenbezogene Sache zu verstehen. Politikfeldanalyse macht politische Arbeit als Informationsbeschaffungs- und -verarbeitungsprozess überhaupt erst strukturierbar.

Aufbauend auf dem Konzept der Politikfeldanalyse bieten drittens die die Methoden und Techniken politischer Arbeit des Public Affairs Ansatzes konkrete Anleitung für politische Arbeit, die ich bereits ausführlich dargestellt habe.

3.1 Mein Platz in der Wertkette

3.1.1 Politik als informationswirtschaftliche Wertschöpfungskette

Wer schon einmal mit dem Gedanken gespielt hat, sich selbstständig zu machen, ein Unternehmen zu gründen, den eigenen Arbeitsbereich zu stärken oder zu verbessern oder wer gar in der Produktion oder im Marketing arbeitet, hat sich Gedanken über branchenspezifische Prozesse und die in ihnen handelnden Akteure gemacht.

In der Erwerbsarbeitswelt sind wir damit vertraut, unser Tun als Teil von Prozess- und Wertschöpfungsketten zu betrachten. Es ist vollkommen möglich, sich auch dem Feld der Politik mit diesem Ansatz zu nähern.

Wir verstehen, welche Voraussetzungen wir zum arbeiten benötigen, auf welche Vorprodukte wir zurückgreifen und wo wir sie herbekommen. Wer uns zuarbeitet, worin dann unser eigener Beitrag besteht und was wir mit unserer Arbeit im Prozess dann leisten. Was von uns dabei erwartet wird und wem beziehungsweise wo wir mit unserer Arbeit Nutzen stiften. Wir wissen, wer unsere Lieferantin ist und wer unsere Kundin. Wir verstehen deshalb auch den Wert dessen, was uns unsere Lieferantinnen geben und den Wert unserer Arbeit für unsere Kundinnen. Entweder, weil wir unsere Kosten kennen, oder, weil wir wissen, was unser gegenüber angesichts des Nutzens zu zahlen bereit ist. Ja, wir sind bei alledem möglicherweise sogar unser eigener Kunde.

Wenn ich mir also die Frage stelle, wo ich politische Arbeit leisten kann, wie, für wen, mit welchem Ziel und so weiter, dann stelle ich die gleichen Fragen, die ich auch im Berufsleben stellen würde: Wie sieht der Prozess aus, an dem ich mit meiner politischen Arbeit teilnehme. Wie sieht meine konkrete Tätigkeit aus, wie meine Werkzeuge? Was ist mein Produkt oder meine Dienstleistung?

Politik lässt sich als informationswirtschaftliche Wertschöpfungskette beschreiben und mit ihrer Hilfe Politik als Markt für Informationsgüter und Informationsdienstleistungen. Solange politische Herrschaft von diesem Markt auf der Grundlage von Partizipation organisiert wird, steht er durch das Verfassungsrecht für jeden und jede offen als Produzent·in, Anbieter·in und Nachfrager·in solcher Güter und Dienstleistungen. Monopolbildung auf dem Markt für politische Arbeit ist verfassungsfeindlich, denn der Zugang zu Demokratie ist verfassungsrechtlich für alle garantiert.

3.1.2 Die Wertkette politischer Arbeit

In der Betriebswirtschaft nutzen wir das Konzept der „Wertkette“ (Value Chain), um die wertschöpfenden Aktivitäten der eigenen Organisation wie auch der Organisation anderer Marktteilnehmer zu analysieren. Die Betrachtung der Wertketten helfen uns zu identifizieren, wie eine Organisation Vorteile gegenüber jeweils anderen Organisationen erlangt. Der Fokus liegt auf internen Prozessen, die zur Wertsteigerung eines Produkts oder einer Dienstleistung beitragen.

Das Modell der Wertkette unterscheidet primäre Aktivitäten, wie Eingangslogistik, Produktion, Ausgangslogistik, Marketing & Vertrieb und Kundenservice, von unterstützenden Aktivitäten, wie etwa die Unternehmensinfrastruktur, Personalmanagement, Technologieentwicklung und Beschaffung. Das Ziel, sich die Wertkette vor Augen zu führen, ist die Effizienzsteigerung und die Schaffung eines Wettbewerbsvorteils durch Optimierung einzelner Prozessteile.

Auch politische Arbeit geschieht entlang einer Wertkette.

Bei der Beobachtung einer politischen Umwelt muss jeder von uns Informationen über Akteure, Themen und Ereignissen beobachten, sammeln und analysieren, für einen Umgang mit der Situation Strategien und Maßnahmen entwickeln und in der Zusammenarbeit mit anderen Informationen hierüber zur Verfügung stellen und verbreiten. Verbreitete Information wird wiederum gesammelt, sortiert, gelesen, dokumentiert, interpretiert und wiederum in Strategie- und Maßnahmenplanung weiter verarbeitet. Wir stehen dabei kontinuierlich vor Make-or-Buy-Entscheidungen, weshalb wir bspw. Presseerzeugnisse kaufen oder uns Analysen und Lösungsvorschläge bspw. in der Form von Wahlprogrammen zu eigen machen, statt diese Dinge selbst hervorzubringen.

In der landläufig wahrgenommenen Praxis von Politik wird die operative Arbeit und die Teilhabe an Ereignissen am stärksten wahrgenommen, ja geradezu gleichgesetzt mit „Politik“: Versuche der informationellen Einflussnahme auf Entscheidungsprozesse, werbliche Tätigkeiten wie z.B. Haustürwahlkampf, Demonstrationen, Aktionen, Protest uvm. Weil diese Leistungen kaum oder gar nicht „delegiert“ oder „eingekauft“ werden können, kommt es hier auf Eigenleistung an. Die Folge ist die Vorstellung von der „politischen Mobilisierung“, d.h. die Akquisition von Kooperationspartnern, um kollektiv eine ausreichend große kritische Masse zu erreichen, die für die Entfaltung von Wirkung notwendig ist.

Dem vorgelagert finden jedoch in der Wertkette mehrere Dinge statt: Die Identifikation eines kollektiven Problems, das einer Lösung bedarf und der Entwurf möglicher Wege zu seiner Lösung wie bspw. die Entwicklung von Wahlprogrammen usw. usf. Dieser in der Wertkette der politischen Aktion vorgelagerte Teil der politischen Arbeit ist für die allermeisten bislang eine eher unzugängliche„Black Box“; eine Sache, zu der viele keinen Zugang finden und in der sie keine Rolle zu haben scheinen und die das Einfallstor für Einflussnahme und Manipulation ist, indem die am Markt verfügbaren „Zukaufteile“ oder „kostenlosen“ Informationsgüter Interessen der sie bereitstellenden Akteure dienen. Die eigene aktive Teilhabe an diesen vorgelagerten informationellen Tätigkeiten hat insofern sehr zentrale Funktionen: Sie ist erstens das Herzstück einer emanzipativen und deliberativen Demokratie, die erkenntnistheoretisch gegenüber Desinformation resilient isti. Zweitens stellt sie das notwendige Grundniveau an Mobilisiertheit und Mobilisationsfähigkeit sicher, das im Moment der Operation notwendig ist, um eine pluralistische und liberale Demokratie offen und am laufen zu halten.

Genau deshalb ist es wichtig, die ganze Wertkette politischer Arbeit zu verstehen. Sie gestattet es, politische Arbeit bspw. in Form der Partei-, Gewerkschafts- und Verbandsarbeit, aber auch in Form der Nutzung der sozialen Medien und anderer Software so als Prozess zu modellieren, dass wir darin einer beliebigen große Anzahl an Personen eine produktive Rolle geben und ihre jeweils bereitsstellbaren Mikroressourcen für sie selbst und andere nutzbar machen können.

Die Wertkette politischer Arbeit

Schaubild: Wertkette politischer Arbeit

Das Modell einer Wertkette politischer Arbeit ist ein Zyklusmodell, der Reihenfolge nach bestehend aus (1) Ereignis, (2) Bericht, (3) Verbreitung, (4) Beobachtung, (5) Auswahl, (6) Dokumentation, (7) Interpretation, (8) Strategieentwicklung und (8) Operation, wobei die Operation wieder ein Ereignis zeitigt.

Die Teilkette (a) „Verbreitung, Beobachtung, Auswahl“ existiert im medienwirtschaftlichen System als mehrstufige Selektionsleistung, die in der Journalistik und der Medienwirtschaft gern als gänzlich eigenständige Wertschöpfungskette dargestellt wird, mit jeweils spezialisierten Akteuren (z.B. freie Journalisten, Presseagenturen, Leitmedien, usw.). Der seit Jahren beobachtbare Niedergang des Journalismus ist meines Erachtens eine Art Nebeneffekt der Herauslösung der Teilkette (a) als eigenständigem Thema der Medienwirtschaft, eben mit der Folge, aus Marketingsicht wichtige Aspekte der Erlösmechanik jenseits der werbewirtschaftlichen Aufmerksamkeitsökonomie völlig aus dem Blick verloren zu haben. Themenkonjunkturen sind äußerlich wahrnehmbare und prognostizierbare Phänomene der Produktionslogik der Teilkette (a) als einem Subsystem der politischen Wertschöpfungskette, sowohl innerhalb der Presse, als auch in den sozialen Medien. In den sozialen Medien bezeichnet man eine Themenkonjunktur als „virale“ Verbreitung einer Information. Die Krise des Geschäftsmodells des Journalismus, die eigene Arbeit nicht mehr ausreichend aus dem Verkauf von Werbung quersubventionieren zu können, kann auch so interpretiert werden, dass es dem Journalismus zunehmend weniger gelingt, seinen Kunden den Wert seiner Kernleistung für die übergeordnete Wertschöpfungskette zu vermitteln und die direkte Vergütung seiner Leistung zu sichern, weil seine Kundinnen bei ihren Beschaffungs- und Make-or-Buy-Entscheidungen dem Irrtum erliegen, die Vorleistung des Journalismus mit subventionierten Informationen ersetzen zu können. Der Aufstieg von medienwirtschaftlichen Geschäftsmodellen, die die Kosten der Produktion Aufmerksamkeit generierender Inhalte vollständig externalisiert haben und deshalb das maximale Erzeugen von Aufmerksamkeit zum Auswahl- und Weiterverbreitungskriterium machen, deutet ebenso auf Probleme bei den Qualitätskriterien des „Einkaufs“ politischer Information nachgelagerter Wertschöpfungsstufen hin. Mit entsprechenden politischen Folgen wie der „Thymotisierung“ von Politikii.

Die Teilkette (b) „Auswahl, Dokumentation, Interpretation“ wiederholt sich bei den Verarbeitenden politischer Information als hermeneutischer Zirkel, d.h. das erworbene Vorverständnis einer Sache führt zu selbstverstärkenden Tendenzen, wobei die Teilschritte (c) „Dokumentation, Interpretation“ Kodierung und Diskussion bspw. in Presseprodukten, Diskussionsforen oder in sozialen Medien darstellen. Die Teilschritte „Strategie, Operation“ sind dabei die Begründung und Vorbereitung von Aktionen, die wiederum in Ereignisse münden (d), wie beispielsweise Veröffentlichungen, Stellungnahmen, Entscheidungen, Kundgebungen, Demonstrationen, Boykotte uvm., mit denen die Kette von vorn beginnt.

Der Vorteil des Wertkettenmodells besteht darin, eine für die Analyse vieler unterschiedlicher Arten von Akteuren („Marktteilnehmer“) anwendbare Schablone zur Verfügung zu haben. Auf jeder einzelnen Wertschöpfungsstufe laufen Wertschöpfungsprozesse ab, die bestimmte Informationsgüter und -leistungen vorgelagerter Wertschöpfungsstufen nachfragen und die nachgelagerten Wertschöpfungsstufen Informationsgüter und –leistungen zur Verfügung stellen. Bei den Wertschöpfungsprozessen in den einzelnen Wertschöpfungsstufen handelt es sich zumeist um Dienstleistungen, zu deren externe Faktoren neben den verarbeiteten Informationen auch die spezifischen Ziele und Bedürfnisse der Akteure nachgelagerter Wertschöpfungsstufen gehören. Die jeweiligen Wertschöpfungsprozesse verlangen spezifische Fertigkeiten, die den Arbeitskräften (Journalisten, Lesern, Partei-, Gewerkschafts- oder Verbandsmitgliedern, Abgeordneten, Lobbyisten, Demonstranten, usw. usf.) vermittelt und durch sie erworben werden müssen. Ferner kommt in allen Wertschöpfungsprozessen (digitale) Technik zum Einsatz, die entwickelt, produziert und gewartet werden muss.

Sowohl durch den Erwerb notwendiger Fertigkeiten als auch durch die zum Einsatz kommende Technik sind weitere, sekundäre Wertschöpfungsprozesse thematisiert, die wiederum Märkte begründen. Zum Beispiel die Entwicklung und Wartung von Software oder auch die Produktion von Handbüchern und Video-Tutorials. Wer politische Arbeit leistet, bewegt sich also nicht nur in dieser Wertkette. Er greift dabei auch auf den Wissens- und Methodenvorrat sowie auf soziale und digitale Techniken der Kultur zurück, in der man eingebettet ist.

Darin besteht im übrigen gerade auch das Perfide der Strategie, die liberale Demokratie zu hacken, indem man durch die Herrschaft über Inhalte und Verbreitungslogiken innerhalb der Kommunikationsplattformen den Diskurs verschiebt. Die Plattformen selbst überformen nicht nur die Wahrnehmung und die Hermerneutik, sondern durch die scheinbar alternativlose Gegebenheit als Infrastruktur und ihrer technischen Regeln sogar den Wissens- und Methodenvorrat der Marktteilnehmer·innen.

3.1.3 Wertschöpfungstiefe unterschiedlicher Akteurstypen

Das Wertkettenmodell politischer Arbeit hilft zu verstehen, wie und in welcher Wertschöpfungsstufe des politischen Prozesses Bürger, Journalisten, Politiker und gewerbliche Interessenvertreter aktiv sind oder aktiv sein können und welche Leistungen sie dabei jeweils erbringen, anbieten oder nachfragen. Es hilft vor allen Dingen auch, den eigenen Platz im politischen Prozess und eigene mögliche Aktivitäten darin zu beschreiben.

Mit Hilfe des Wertkettenmodells wird erkennbar, wie im politischen Prozess die Durchsetzungsfähigkeit bestimmter Gruppen von der Wertschöpfungstiefe wie auch von der Qualität und Leistungsfähigkeit ihrer primären und sekundären Aktivitäten abhängt. Auch wird klar, dass zwischen den verschiedenen Arten von Akteuren sowohl innerhalb als auch zwischen Wertschöpfungsstufen Marktbeziehungen bestehen. Der Journalist beispielsweise fungiert als Lieferant von Berichten und Analysen, ist aber gleichzeitig auch Kunde derjenigen, die durch ihr Handeln Ereignisse hervorbringen und Berichtenswertes erzeugen. Auch wird deutlich, dass einige Akteure Wertschöpfungsstufen vertikal integrieren.

Politische Akteure, wie politische Vereine, Parteien und Verbände, bilden intern die gesamte Wertkette ab, sind also vollständig vertikal integriert. Die faktische Unterentwicklung ihrer digitalen Infrastruktur ist eine Schwäche ihrer sekundären Prozesse. Indem sie diese bislang externalisiert haben und allein auf Plattformen Dritter zurückgreifen (Pressemedien, Funk, Fernsehen, Social Media), sind sie in größte Abhängigkeit geraten.

Klassische (Nachrichten-)Medienunternehmen integrieren vertikal klassischerweise nur die Wertkette vom Bericht bis zur Dokumentation und integrieren horizontal auf einzelnen Wertschöpfungsstufen horizontal andere Akteure, wie bspw. Journalisten, Lokalzeitungen usw. Bei alledem existiert zwischen politischen Akteuren und Medienunternehmen eine wechselseitige Arbeitsteilung.

Die Wertkette politischer Informationsarbeit mit Akteuren je Wertschöpfungsstufe

Wertschöpfungstiefe und horizontale Integration jeweils unterschiedlicher Akteurstypen

(Nachrichten-)Medienunternehmen und Journalismus sind als (e) Medienwirtschaft horizontal integriert. Die Werbewirtschaft stellt für sie den ökonomisch entscheidenden Sekundärprozess dar. Ihre große Vulnerabilität besteht darin, dass sie den Wettbewerb um die Budget der Werbewirtschaft verlieren, weil konkurriende (Internet-)Medienunternehmen den Sekundärprozess der (Nachrichten-)Medienunternehmen zum primären Aktivitätenfeld erhoben haben.

Die Wertschöpfungstiefe der (f) politischen Öffentlichkeitsarbeiter (Public Affairs) ist genau so groß wie die der (g) Kollektivakteure, d.h. wie der politischen Vereine, Parteien, Gewerkschaften und Verbände, jedoch unterscheiden sich ihre internen Prozesse teils fundamental voneinander. Die Öffentlichkeitsarbeiter der Partikularinteressen sind in der Regel wenige Personen, die hierarchisch organisiert und weisungsgebunden im Auftrag von Unternehmen arbeiten. Ihr Wettbewerbsvorteil entspringt aus der Möglichkeit zentraler Entscheidungen in Unternehmensstrukturen, damit verbunden größerer Entscheidungsgeschwindigkeit und der Entwicklung rein an Effektivitäts- und Effizienzkriterien orientierten Infrastrukturen im Bereich ihrer primären Aktivitäten, die nicht erst auf kollektives Lernen und kollektive Entscheidungsprozesse warten müssen, wie dies innerhalb von Kollektivakteuren der Fall ist. Wie aus den Methoden und Techniken von Public Affairs zu ersehen ist, spielen für sie die mit der Medien- und Werbewirtschaft verbundenen Phänomene eine untergeordnete Rolle.

Kollektivakteure sind strukturell im Geschwindigkeits- und Entwicklungsnachteil. Aufgrund ihrer sehr viel höheren internen Transaktions- bzw. Koordinationskosten nennt man sie gerade wegen ihrer Mitgliederstärke auch „ressourcenschwache Kollektivakteure“. Diese Ressourcenschwäche in Folge chronisch hoher Transaktionskosten gilt es mit Hilfe digitaler Technik zu beheben. Dies ist das alte, liberale Versprechen des Internets und es gibt sehr gute Gründe davon auszugehen, dass dieses Versprechen allen Unkenrufen zum Trotz Bestand haben wird. (vgl. )

Indem die Transaktionskosten zur Integration der im mitgliederstarken Kollektiv reichlich vorhandenen und breit verteilten Mikroressourcen mit Hilfe digitaler Technik auf nahezu Null gesenkt werden können, lässt sich das Potential von Kollektivakteuren ganz anders entfalten als vor der digitalen Revolution. Dies ist die Aufgabe, vor der wir aktuell stehen.


iSiehe in diesem Zusammenhang den Begriff des „dialogischen Monismus“, https://chaos.social/@plinubius/112930390081524810

iiVgl. den Begriff der Thymotisierung von Michael Blume, bspw. https://scilogs.spektrum.de/natur-des-glaubens/begriffsklaerung-thymos-oligarchische-timokratie-ki-digitale-thymokratie/, abgerufen am 04.03.2025